Berauschend, souverän, überragend

Berauschend, souverän, überragend - die DFB-Elf hat Australien in Grund und Boden gespielt. Doch so gut das junge Team auch kombinierte - das hohe Ergebnis gegen einen schwachen Kontrahenten sagt wenig aus. Bundestrainer Joachim Löw redet bereits den nächsten Gegner stark.

Australiens Trainer Pim Verbeek hat es wohl geahnt, als er Mitte der ersten Halbzeit wild gestikulierend unten am Spielfeldrand stand und etwas Richtung Tim Cahill brüllte. Die deutsche Mannschaft würde gleich einen Einwurf ausführen, Verbeek deutete verzweifelt in Richtung Mittelfeld, er hatte dort eine Lücke bemerkt. Doch schon wenig später war dort keine Lücke mehr, sondern Philipp Lahm. Lahm flankte, genau auf den Kopf von Miroslav Klose. Und der machte das 2:0 gegen Australien.


Nach dem Spiel sitzt Pim Verbeek im Presseraum des WM-Stadions von Durban und spricht über deutsche Spieler in australischen Mittelfeldlücken. Der australische Trainer sagt, sein Team habe das Spiel genau dort verloren: "Wir hatten ein Problem im Mittelfeld." Er nennt die Namen Schweinsteiger, Khedira, Özil als Urheber des Problems.

Auch Joachim Löw hat viel über Lücken gesprochen, aber das war vor dem 4:0 im ersten WM-Gruppenspiel gegen Australien. Löw wollte, dass seine Mannschaft diese Lücken durch konsequentes Spiel über außen aufreißt, um dann hineinzustoßen. Unklar war nur, ob sie das auch hinbekommen würde. "Man weiß vor dem ersten Gruppenspiel nie, wo man steht", hatte Löw gesagt. Jetzt schon.

Eine Wundertüte hat man diese Mannschaft genannt vor dem Spiel: Schon lange ist klar, dass einiges drinsteckt in diesem Team, aber man wusste nie, was es am Ende aus all dem Talent, der Jugend, der Schnelligkeit und den technischen Fähigkeiten machen würde.

Denn Jugend kann bei dieser DFB-Elf auch fehlende Erfahrung bedeuten. Und Übermut. Wie würden die ganzen 20- und 21-Jährigen wie Sami Khedira, Thomas Müller, Holger Badstuber, Mesut Özil oder Manuel Neuer mit dem Druck eines Weltturniers umgehen? Und der "alte" Miroslav Klose mit der ganz persönlichen Krise? Die Frage, die über all dem fragilen Gebilde steckte vor diesem 13. Juni in Durban war: Was kommt raus aus der Wundertüte, wenn es ernst wird?

Die vorläufige Antwort stand auf der Anzeigetafel in der Nacht zum Montag und auch in Pim Verbeeks Gesicht, als er sagte: "Wir wussten, dass diese deutsche Mannschaft um den WM-Titel mitspielen wird."

Ein 4:0 kann eine Menge aussagen, wenn es während einer WM zustande kommt, in der zuvor nie mehr als zwei Tore pro Spiel gefallen sind. In der sich ein Mitfavorit wie England mit einem 1:1 begnügen muss und ein Topfavorit wie Argentinien mit einem 1:0; wenn dieses 4:0 mit einer beeindruckenden Lässigkeit erspielt wird, mit Kombinationen über zwei, drei, vier Stationen, als Ausgangspunkt die Zentrale mit Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira, als Mittelpunkt Spielmacher Mesut Özil. Ein 4:0 kann viel aussagen, aber wenn man Joachim Löw glaubt, muss es das nicht.

Denn es ist Löw, der Perfektionist und Realist, der vor einer Kausalkette "4:0-Auftaktsieg heißt WM-Sieg" warnt: Es gebe noch viel zu verbessern, "es kommen noch härtere Prüfsteine. Australien ist nicht das Maß aller Dinge".

Nein, Australien ist nicht das Maß aller Dinge. Dabei hatte Löw den Gegner vor dem Spiel noch stark geredet, man dürfe die Jungs von Down Under nicht unterschätzen, Australien könne es ins Achtelfinale schaffen. Der Bundestrainer malte das Bild von einer harten Truppe, kompakt und furchtlos und man stellte sich unwillkürlich hochhausgroße Verteidiger vor und ihr Defensivsystem als klebriges Spinnennetz - der stärkste deutsche Gruppengegner.

Bis Freitag ist Serbien der stärkste Gegner

Die Realität indes sah anders aus. Die mutmaßlich furchterregenden Australier brachen weder deutsche Spielerbeine noch waren sie - mit Ausnahme der 4. Minute, als Lahm im Strafraum klärte - sonderlich gefährlich. Ihr Verteidigungsnetz funktionierte eine Viertelstunde. Dicht gestaffelt wartete das komplette Team ab der Mittellinie. Nach dem 0:1 durch Lukas Podolski war das Abwehrkonzept Makulatur. Attackiert wurde jetzt schon in der gegnerischen Hälfte.

Auf der anderen Seite konnte das jüngste DFB-WM-Team seit 1934 vom Druck befreit die entstehenden Lücken spielerisch nutzen. Lahm auf Klose, 2:0. Podolski auf Müller, 3:0. Özil auf Cacau, 4:0. Klose feierte das Ende seiner Krise, Müller feierte sein Gerd-Müller-1974-Gedächtnistor ("Musste meiner Rückennummer gerecht werden") und Cacau feierte seinen dritten Pflichtspieltreffer in Folge. "Wenn wir so weitermachen, kann es weit gehen mit uns", sagte Verteidiger Arne Friedrich.

Joachim Löw dagegen feierte vor allem einen Lernerfolg. Er, der die Verbesserung des Spiels ohne Ball als oberstes Klassenziel für die WM-Vorbereitung ausgegeben hatte, sah einen Mesut Özil oder einen Thomas Müller, die sich nach einem Pass sofort lösten, um anderswo wieder anspielbar zu sein. "Spielen und gehen" nennt das der Bundestrainer, "wer sich viel bewegt hat viele Möglichkeiten zu spielen."

Löw würde wohl selbst ein Ausscheiden im WM-Viertelfinale verschmerzen, wenn sich nur die Mannschaft weiterentwickelt. Die nächste Gelegenheit dazu hat sie am Freitag gegen Serbien. Das Team, das gerade gegen Ghana 0:1 verloren hat und nun gewinnen muss. Serbien sei keine Mannschaft, "die nur hohe Bälle nach vorn spielt", warnt Löw schon mal, ein anderes Kaliber als Australien. Serbien ist jetzt der stärkste deutsche Gruppengegner. Zumindest bis Freitag.

Credits: Spiegel.de